Arzneimittelklassiker mit immer neuen Perspektiven

NATUR+PHARMAZIE 1/2000

Der Aspirin® Forschungspreis 1999

Noch 100 Jahre nach seiner Entdeckung ist die Acetylsalicylsäure Gegenstand zahlreicher internationaler Forschungsaktivitäten, die zukunftsträchtige Erkenntnisse liefern. Besonders bedeutsame Arbeiten zeichnet das Unternehmen Bayer seit 1995 mit dem Internationalen Aspirin®-Forschungspreis aus. Dabei wird mit dem "Aspirin® Senior Award" jeweils ein Wissenschaftler geehrt, der in seinem Lebenswerk wesentliche Beiträge zu Erforschung und Einsatz von Acetylsalicylsäure geleistet hat, während mit dem öffentlich ausgeschriebenen "Young Researchers' Aspirin® Award" die Arbeit junger Forscher gefördert werden soll.

Ursprünglich als Schmerzmittel entwickelt, hat Acetylsalicylsäure längst neue medizinische Anwendungsgebiete erobert. Empfohlen wird es heute in der Migränebehandlung, der Primär- und Sekundärprävention des Herzinfarkts, zur Behandlung akuter kardiologischer Symptome und des Schlaganfalls. Hinweise gibt es auch im Zusammenhang mit der Prävention verschiedener Krebsarten, bei der Alzheimer-Krankheit und bei Diabetes mellitus. Der "Aspirin® Senior Award 1999" ging an den amerikanischen Epidemiologen Professor Dr. Charles H. Hennekens, Universität Miami, Florida. Er hat aufgrund umfangreicher Studien die Bedeutung von Acetylsalicylsäure für atherosklerotische Gefäßerkrankungen erkannt und ist wesentlich verantwortlich dafür, dass dieses Medikament heute weltweit als Mittel der ersten Wahl bei akuten Symptomen von koronaren Erkrankungen sowie in der Herzinfarktprophylaxe eingesetzt wird. Hennekens hat die US Physicians' Health Study geleitet, an der 22000 Ärzte teilnahmen und die zeigte, dass eine Einnahme von 325 mg Acetylsalicylsäure jeden zweiten Tag das Risiko für einen ersten Myokardinfarkt um 44 % senkt. An der ISIS 2-Studie (Second International Study of Infarct-Survival) mit über 17 000 Männern und Frauen nach Myokardinfarkt war er maßgeblich mitbeteiligt und fand heraus, dass mit täglicher Einnahme von 162,5 mg Acetylsalicylsäure über 30 Tage die Mortalität um 23 %, die Reinfarktrate um 49 % und das Schlaganfallrisiko um 46 % gesenkt wird. Ergänzend dazu will er mit der Womens' Health Study mit 40000 Krankenschwestern eine Rationale für den Einsatz von niedrig dosierter Acetylsalicylsäure in der Primärprävention von Herzinfarkt und Schlaganfall bei Frauen finden. Für den "Young Researchers' Aspirin® Award 1999" wurden unter 24 Bewerbern die Molekularbiologin Dr. Min-Jean Yin, Sugen Inc., South San Francisco, USA und die Biologin Stefanie Oberle, Doktorandin am Institut für Pharmakologie und Toxikologie der Martin-Luther-Universität Halle/Saale ausgewählt. Beide Arbeiten haben Erkenntnisse über neue Wirkmechanismen von Acetylsalicylsäure gebracht. Die antiinflammatorische Wirkung von Acetylsalicylsäure und anderen NSAIDs beruht wenigstens teilweise auf einer Verminderung der Prostaglandinsynthese durch Hemmung der Cyclooxygenase. Zusätzlich aber wird sie hervorgerufen durch eine Hemmung der Aktivierung des Transkriptionsfaktors NF-kB, dem Schlüsselzytokin bei der entzündlichen Immunantwort. Dr. Min-Jean Yin hat in ihrer preisgekrönten Arbeit den Angriffspunkt von Acetylsalicylsäure im Aktivierungsweg von NF-kB aufzeigen können. Acetylsalicylsäure blockiert eine spezifische Kinase, die IkB-b, so dass das Zytokin NF-kB nicht in den Zellkern gelangen kann und folglich nicht in der Lage ist, Gene für die Ausbildung von Entzündungsmediatoren zu exprimieren. Dr. Yin hat damit einen wichtigen Mosaikstein zum Mechanismus der antientzündlichen Wirkung der Acetylsalicylsäure beigetragen und zugleich auch einen Weg aufgezeigt, der zur Entwicklung neuer entzündungshemmender Wirkstoffe führen könnte. Es gibt Hinweise darauf, dass niedrige Serumeisenspiegel vor Myokardinfarkten und anderen Folgen von Atherosklerose schützen könnten: Bei regelmäßigen Blutspendern treten seltener Myokardinfarkte auf. Unter erhöhten zellulären Eisenspiegeln dagegen steigen nach klinischen Beobachtungen Atheroskleroserisiko und Infarktraten an. Auch das im Vergleich zur Postmenopause kleinere koronare Risiko bei prämenopausalen Frauen ließe sich mit dem erniedrigtem Gehalt des Blutes an freiem cytosolischem Eisen aufgrund des menstrualen Blutverlustes erklären. Die bisher jüngste Trägerin des "Young Researchers' Aspirin® Award", Stefanie Oberle, hat nachgewiesen, dass Acetylsalicylsäure die Endothelzelle vor einer Zerstörung durch oxidativen Stress schützen kann, weil sie dafür sorgt, dass der Zelle das für die Bildung von freien Radikalen erforderliche freie Eisen entzogen wird. Der antioxidative Mechanismus beruht dabei nicht auf einer Radikalfängerreaktion, sondern auf einer Induktion der Ferritinbildung (s. dazu auch das Interview auf der gegenüberliegenden Seite). (LM)

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