Planetary Health

NATUR+PHARMAZIE 3/2020

Der Klimawandel bringt neue Erkrankungen in die Apotheke

Neue Allergene und Infektionskrankheiten, die Luftverschmutzung: Apotheken müssen sich an Veränderungen anpassen, Patienten informieren und warnen, sowie evtl. Medikation und Behandlung modifizieren. Was ist wichtig zu wissen und zu beachten? Dies ist der dritte Beitrag der ganzjährigen Serie zur Planetaren Gesundheit.
Pflanzliche Allergene
Am Beispiel der Beifuß-Ambrosie (Ambrosia artemisiifolia) lässt sich eine durch verändertes Klima, Wirtschafts- und Landnutzungsverhalten zunehmende Belastung von Allergikern gut zeigen: Die besonders allergene, invasive sowie gebietsfremde Pflanze breitet sich begünstigt durch den Klimawandel in Mitteleuropa aus – besonders Richtung Norden und Nordosten. Eine Studie von Hamaoui-Laguel et al. (2015) hat errechnet, dass die Belastung mit den besonders aggressiven Pollen bis 2050 wahrscheinlich um das Vierfache ansteigen wird. Deutschland liegt in einem Gebiet, in dem sich die Pollenbelastung besonders stark erhöhen wird, wie von den Forschern durchgeführte Simulationen ergaben. Die Werte könnten zwischen 1.800 und 12.900 Pollenkörner pro Kubikmeter Luft erreichen. Bei Ambrosia verhält es sich so, dass nur fünf bis zehn Pollen pro Kubikmeter Luft genügen, um eine allergische Reaktion hervorzurufen; zum Vergleich: Bei Birkenpollen muss die Konzentration etwa zehnmal so hoch sein. Die Beifuß-Pollen fliegen von August bis November, bei milder Witterung bis Dezember; die Ambrosie blüht also zu einer Zeit, wo viele allergieauslösende Pflanzen nicht mehr blühen und verlängert damit die Beschwerdezeit der betroffenen Patienten. Im Januar fliegen dann schon wieder Pollen der ersten Frühblüher, sodass Pollenallergiker keine Ruhe- und Erholungsphase mehr haben. Die Blühperioden fangen durch die klimawandelbedingt steigenden Temperaturen immer früher an und hören immer später wieder auf.
Die Pollenentwicklung in der Luft hängt nicht nur von der Menge der vorkommenden Pflanzen ab, sondern auch von der Pollenproduktion, -freisetzung und den Änderungen der atmosphärischen Verteilung (Dispersion) durch Faktoren wie Wind und Gewitter (Stichwort: „Thunderstormasthma“). Der steigende CO2-Gehalt der Luft fördert nicht nur das Wachstum von Pflanzen sondern auch die Pollenproduktion.
Einmal in einem Gebiet beheimatet, ist die robuste Pflanze sehr schwer wieder zurückzudrängen; zurückschneiden oder ausreißen reicht häufig nicht, weil Samen und Wurzeln sehr langlebig sind und wieder austreiben. Die gemeldeten Großvorkommen, zum Beispiel rund um Stuttgart, sind stark gestiegen. Das Land Baden-Württemberg dokumentiert und kartiert alle identifizierten Bestände, auch solche, die bereits bekämpft werden und stellt das Wissen über Verbreitung und erfolgreiche Bekämpfungsmaßnahmen gebündelt zur Verfügung.
Ähnliche Prognosen zur Belastungsteigerung gibt es auch unter anderem für Birken und Gräserpollen. Und: Klimawandel und Umweltverschmutzung feuern sich in ihren negativen gesundheitlichen Auswirkungen gegenseitig an. So werden die Pollen durch die Umweltverschmutzung aggressiver, es werden vermehrt entzündungsfördernde Stoffe gebildet; gleichzeitig machen vermehrte Luftschadstoffe die Schleimhäute, vereinfacht ausgedrückt, „undicht“. Nicht nur die Schleimhäute von Allergikern werden beeinträchtigt, sondern z. B. bei Neurodermitispatienten addieren sich negative Effekte eines Mixes aus Pollen und UV-Strahlen. (Traidl-Hoffmann 2019)
 
Luftschadstoffe
Verschmutzte Luft ist gesundheitsschädlich und erhöht das Risiko für Herz-, Kreislauf- und Atemwegs-Erkrankungen; Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Chemie und der Universitätsmedizin Mainz haben in einer neuen Studie berechnet, dass Luftverschmutzung die Lebenserwartung der Menschen im globalen Durchschnitt stärker verringert als Infektionskrankheiten oder andere Herz-Kreislauf-Risikofaktoren wie beispielsweise Rauchen (Lelieveld et al. 2020). Nach dieser Untersuchung verursachte Luftverschmutzung im Jahr 2015 weltweit 8,8 Millionen vorzeitige Todesfälle. Dies entspricht einer durchschnittlichen Verkürzung der Pro-Kopf- Lebenserwartung von 2,9 Jahren. Im Vergleich dazu reduziert Rauchen die Lebenserwartung um durchschnittlich 2,2 Jahre (7,2 Millionen Todesfälle), HIV / Aids um 0,7 Jahre (1 Million Todesfälle), parasitäre und durch Vektoren – also durch Lebewesen wie Stechmücken oder Läuse – verursachte Krankheiten wie Malaria um 0,6 Jahre (600.000 Todesfälle). Eine US-amerikanische Forschergruppe hat untersucht, ob eine langfristige durchschnittliche Exposition gegenüber Feinstaub (PM2,5) das Risiko für COVID- 19-Todesfälle in den USA erhöht (Wu et al. 2020). Sie fanden heraus, dass ein Anstieg von PM2,5 um nur 1 μg / m3 mit einem Anstieg der COVID-19-Todesrate um 15 % verbunden ist.
Ein weiterer Zusammenhang wurde auch ganz aktuell untersucht: Stickstoffdioxid ist ein Schadstoff in der Luft, der die Atemwege des Menschen schädigt. Bereits seit vielen Jahren ist bekannt, dass er beim Menschen zahlreiche Atemwegserkrankungen oder auch Herz-Kreislaufbeschwerden begünstigen kann. Aber wie ist es mit einer Lungenkrankheit wie COVID-19? Dr. Yaron Ogen vom Institut für Geowissenschaften und Geographie der Martin-Luther-Universität Halle- Wittenberg untersuchte dies, indem er Satellitendaten und Wetterdaten mit den Angaben zu Todesfällen in Zusammenhang mit COVID-19 abglich (Ogen 2020). Dabei stellte sich heraus, dass vor allem die Regionen eine hohe Todeszahl aufweisen, in denen einerseits die Belastung mit Stickstoffdioxid besonders hoch und andererseits der vertikale Luftaustausch besonders gering ist. „Wenn wir uns beispielsweise Norditalien, den Großraum Madrid oder die Provinz Wuhan in China anschauen, sehen wir eine Besonderheit: Sie alle sind umgeben von Bergen. Das macht es noch einmal wahrscheinlicher, dass die Luft in diesen Regionen stabil und die Belastung mit Schadstoffen höher ist“, so Ogen.
Diese Beispiele machen deutlich, wie wichtig ein wirklich ganzheitlicher Blick auf die menschliche Gesundheit ist, wie ihn der Ansatz Planetary Health bereitstellt. Man bedenke auch noch, dass COVID-19 eine Zoonose ist, deren Ursprünge unter anderem in einem falschen Wirtschaften, einem falschen Umgang mit der Natur und der Klima- und Umweltkrise zu finden sind.
Apropos Infektionskrankheiten ...
 
Infektionserkrankungen
Die Tigermücke mit dem Chikungunya- und dem Dengue-Fieber, das West- Nil-Fieber und bedingt durch die milden Winter eine Zunahme der Borreliosen und Hantaviren-Infektionen, das sind Beispiele für Erkrankungen, an die in deutschen Apotheken zunehmend auch gedacht werden muss. Zusätzlich werden in Deutschland immer öfter neue, teils tropische Zeckenarten gesichtet, die auch heimisch zu werden drohen: die Braune Hundezecke, die zwar vornehmlich Vierbeiner betrifft, deren Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit jedoch weiter untersucht wird, sowie die tropische Hyalomma-Zecke. Diese große tropische Zeckenart gilt im eurasischen Raum als Überträger des Virus des Krim- Kongo hämorrhagischen-Fiebers und des Arabisch Hämorrhagischen Fiebers (Alkhumra-Virus). Außerdem kann über diese Zecke das Bakterium Rickettsia aeschlimannii, das eine Form des Zecken- Fleckiebers auslöst, übertragen werden.
Bislang sind solche Infektionen die Ausnahmen, dennoch sollte jede Apotheke aufmerksam sein. Wer zum Beispiel auffällige Zeckenarten am Kunden bzw. Patienten findet, sollte dies den Gesundheitsämtern melden. Zurzeit wird die Zunahme intensiv dokumentiert und erforscht.
 
Fazit
Der mikroskopische Blick bedarf dringend der Ergänzung durch einen makroskopischen, ganzheitlichen Blick der Naturheilkunde und des Planetary Health Ansatzes. Gesunde Menschen kann es nur auf einem gesunden Planeten geben. Daher muss das vorhandene Wissen auch zu transformativen Prozessen führen. Mit den bereits eingetretenen Entwicklungen muss allerdings tagtäglich zum Wohle der Patienten umgegangen werden. Die Apotheke sollte daher auf neue Gegebenheiten eingestellt sein, neue Zusammenhänge und Diagnosen kennen und berücksichtigen und nicht zuletzt Forderungen an die Politik stellen: einerseits werden entsprechende Richtlinien und Hilfen dringend gebraucht, andererseits muss im Sinne eines sekundärpräventiven Ansatzes ein Fortschreiten der Klima- und Umweltkrise verhindert werden.
 
Abbildung Planetary Health

 

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