Glas mit Gemüse Shake

Ernährungsmedizin

Naturmedizin 5/2021

Essend fasten?

„Das Fasting Mimicking Program ist ein fünftägiges Fastenprogramm, das auf gesunden Naturprodukten und gesunden Inhaltsstoffen basiert. Ihr Körper erkennt jedoch nicht, dass er genährt wird. Dies führt dazu, dass der Körper in einen Fastenmodus übergeht.“

(Valter Longo 2021)

In einem Dorf in Kalabrien besuchte der 5 Jahre alte Valter Longo mit seiner Mutter den schwerkranken Großvater. Als er eines Tag das Krankenzimmer betrat, war er gestorben. Rückblickend sagt er, dass bei diesem Ereignis die Leidenschaft in ihm erwacht ist, Menschen, so lange und so gesund wie möglich am Leben zu erhalten. Sein Geburtsort in Ligurien, Italien gehört zu den Orten mit dem weltweit höchsten Anteil an Hundertjährigen: 4 auf 2.000 Einwohner. Aus den Hauptbestandteilen der ligurischen Ernährung entwickelte er später seine Longevita-Diät: viel Kichererbsen, Olivenöl und wohldosiert Fisch.
Heute ist Valter Longo „Professor of Gerontology and Biological Sciences“ und Direktor des Longevity Institute an der „University of Southern California – Leonard Davis School of Gerontology, Los Angeles“, einem der führenden Zentren für Alters- und Altersforschung. Außerdem ist er Direktor des „Longevity and Cancer Program“ am „IFOM Institute of Molecular Oncology“ in Mailand, Italien.
1992 fing er an, mit dem Pionier der Kalorienrestriktion, Roy Walford, an der University of California, Los Angeles, zusammenzuarbeiten, wo er zum Altern des Immunsystems und zu Kalorienrestriktion forschte. Er suchte dann nach einer Methode, die Nebenwirkungen und Hürden einer strengen Kalorienreduktion oder eines Fastens im Sinne einer Nulldiät zu vermindern und die positiven Effekte zu behalten. Es musste regelmäßig und einfach durchzuführen sein und auch einem Amerikaner zuzumuten sein, der von Nulldiäten und Abführen eher schlecht zu überzeugen ist.
 
Widerstände gegen Fasten bei Krebspatient:innen
In der Krebsforschung stieß er allerdings auf Widerstand von Kolleg:innen und Patient:innen, wenn er eine Nulldiät bzw. Wasserfasten vorschlug. So entwickelte er zusammen mit Kolleg: innen die Scheinfasten-Diät: „eine protein- und zuckerarme Diät, die reich an bestimmten gesunden Fetten ist und sich auf zahlreiche in unseren Labors entwickelte Ernährungstechnologien stützt, um auf diese Weise sicherzustellen, dass der Patient angemessen ernährt und gleichzeitig die Wirkung der Krebstherapie optimiert wird. Diese Diät nannten wir ‚Scheinfasten-Diät‘.“ (Longo 2018) Diese Diät wurde dann in vielen Studien am Tiermodell erprobt, sprich an Mäusen – mit großen Erfolgen: Verlängerung der Lebensspanne, Verlust an Körperfett ohne Einbuße von Muskelmasse, geringerer alternsbedingter Knochendichteverlust, geringere Anfälligkeit für Krebs, Rückgang von Hautentzündungen, Anstieg von Stammzellen, Verjüngung des Immunsystems, bessere Hirnfunktion im Alter.
 
Erst die Maus, dann der Mensch
Aufgrund dieser Erfolge fingen Longo und Kolleg:innen an, eine Scheinfasten- Diät für den Menschen zu entwickeln, „die 1. für eine ausreichende Kalorienzufuhr sorgt und somit sicherer ist als strenges Fasten; 2. eine Vielzahl an Komponenten enthält, sodass sie für die meisten Menschen wohlbekömmlich ist; 3. gestützt auf die Longevità-Diät (siehe unten) zu 100 % pflanzlich ist; 4. ebenso effektiv ist wie reines Fasten“ (Longo 2018).
Für Longo ist die Scheinfasten-Diät das Ergebnis seiner 3 Jahrzehnte Forschung zu Fasten und Longevity (Kleine-Gunk 2021). Er hat etwas gesucht, was alle positiven Effekte des Fastens aufweist, aber was von Menschen gut toleriert wird. So sagt er, dass zum Beispiel das Fasten jeden zweiten Tag (alternate day fasting) im Prinzip eine gute Sache ist – aber dass es nur sehr wenige tun werden.
Seine Scheinfasten-Diät wird von einer Firma hergestellt und dem Nutzer in einer Box angeboten. Dies macht es für Patient:innen, Ärzt:innen und Ernährungsberater: innen einfach, die Hürden sind gering. Man kann es mit wenig Aufwand tun. Man kann in seinen Routinen bleiben von 3 Mahlzeiten pro Tag bleiben. Und 5 Tage einer veganen Diät haben häufig noch Effekte für das Ernährungsverhalten nach der Zeit.
Er betont dabei, dass die Einnahmen aus dem Verkauf dieser Box, wie auch die Einnahmen von seinen Büchern, in Gänze in seine Forschung zurückfließen.
 
Scheinfasten-Diät nach Longo
Die Fasting Mimicking Diet ist eine pflanzliche Diät, die unter anderem darauf abzielt, fastenähnliche Wirkungen zu erzielen: auf den Serum-Spiegel von IGF-1, auf das Insulin-like Growth Factor-Binding Protein 1 (IGFBP-1), Glukose und Ketonkörper während gleichzeitig Makro- und Mikronährstoffe bereitgestellt werden, um die Belastung durch das Fasten und Nebenwirkungen zu minimieren. Das Fertigprodukt enthält u.a. Energieriegel, Gemüsesuppen, Kräutertee und Oliven. Es ist ein 5-Tage-Programm: Tag 1 Diät der Diät liefert ca. 1.090 kcal (10 % Protein, 56 % Fett, 34 % Kohlenhydrate), Tage 2–5 sind identisch, liefern aber nur ca. 725 kcal (9 % Protein, 44 % Fett, 47 % Kohlenhydrate). (Napoleão et al. 2021)
Die Diät enthält täglich komplexe Kohlenhydrate (z.B. Gemüse), gesunde Fette (Nüsse, Olivenöl), Omega-3/6- Nahrungsergänzungsmittel, ungesüßten Tee (3–4 Tassen)
25 Gramm Protein pflanzlichen Ursprungs, insbesondere aus Schalenfrüchten, Wasser nach Belieben. Am 2.–5. Tag werden die Kohlenhydrate und Fette reduziert, sonst wie am ersten Tag. Für die Woche vor der geplanten SFD empfiehlt Longo eine vollwertige Ernährung auf pflanzlicher Basis und Fisch mit 0,8 Gramm Protein pro Kilogramm Körpergewicht, ergänzt durch die eine wohldosierte Aufnahme von Multivitamin- und Omega-3-Präparaten. Nach der SFD soll eine Übergangszeit eingehalten werden: nur komplexe Kohlenhydrate und weiterhin Verzicht auf Fleisch, gesättigte Fette, Süßigkeiten, Käse, Milch etc. (Longo 2018)
Nebenwirkungen können nach Longo (2018) sein: häufig anfänglich leichtes Schwächegefühl, aber im Verlauf dann mehr Energie, oft leichte Kopfschmerzen, Hunger während der ersten 2–3 Tage (lässt oft ab dem zweiten SFD-Zyklus nach), evtl. leichte Rückenschmerzen. (Longo 2018) Nebeneffekte sind bei manchen Menschen: subjektiv „jüngere“ Haut, geringeres Schlafbedürfnis, größere geistige Klarheit, Fähigkeit zur Mäßigung nach der SFD in Bezug auf Zucker, Alkohol etc.
 
Allgemeine Indikationen und Kontraindikationen
Longo empfiehlt seine Art der SFD für gesunde, normalgewichtige Personen zwischen 18 und 70 Jahren. Über 70 Jahren ist sie nur für Personen geeignet, die übergewichtig oder adipös sind und in den letzten Jahren nicht über 5 % an Körpergewicht verloren haben. Unter (fach-) ärztlicher Aufsicht kann die SFD auch bei Vorhandensein bestimmter Erkrankungen angewendet werden (Krebs, Diabetes, Herz-Kreislauf-, Autoimmun- oder neurodegenerative Erkrankungen). Kontraindiziert ist nach Longo seine SFD bei Schwangeren, Magersüchtigen, Untergewichtigen oder bei Personen mit sehr geringer Muskelmasse. Die Medikamenteneinnahme bzw. das Weglassen von Medikamenten während der SFD muss mit einem Arzt abgestimmt werden.
Die SFD darf niemals in Kombination mit Insulin oder blutzuckersenkenden Medikamenten durchgeführt werden, da dies tödliche Folgen haben kann. Da auch nach der SFD die Patient:innen die Insulinsensivität erhöht sein kann, ist bei Diabetikern grundsätzlich die ärztliche Begleitung notwendig. Bei niedrigem Blutdruck oder Einnahme blutdrucksenkender Medikamente ist auch die ärztliche Zustimmung und Begleitung notwendig. Kontraindiziert ist die SFD auch bei von einer seltenen Genmutation betroffene Personen, deren Organismus aus Glyzerin und aus Aminosäuren keine Glukose erzeugen kann (Gluconeogenese).
Auch bei Sportler:innen während des Trainings oder Wettkampfs ist Vorsicht geboten. Große Muskelanstrengungen erfordern einen hohen, während der SFD nicht vorhandenen Blutzuckergehalt. Es besteht Ohnmachtsgefahr. Auch auf Schwimmen sollte verzichtet werden. Während der SFD, v. a. in der heißen Jahreszeit, sollte ausgiebiges heißes Duschen vermieden werden, da auch hier Ohnmachtsgefahr besteht. Empfohlen wird Ausdauersport, der nicht über schnelles Gehen hinausgeht. (Longo 2018)
 
Spezielle Indikationen
Zunächst wurde vor allem am Tiermodell geforscht, was im wissenschaftlichen Diskurs auch kritisiert wurde (Sofi 2020). Aktuell werden zunehmend klinische Humanstudien durchgeführt.
Untersucht werden Effekte u.a. auf die Lebensspanne allgemein, Insulinresistenz, Gewichtsregulation, kardiovaskuläre Gesundheit, Diabetes, Multiple Sklerose, Depression. Auch als komplementäre Therapie zur Chemotherapie bei Brustkrebs wird die SFD überprüft (mehr zur Forschungslage finden Sie in der nächsten Ausgabe der Naturmed-Depesche).
 
Deutsche Variante
In Deutschland wurde eine Scheinfasten- Diät von den Ärzten Prof. Dr. Andreas Michalsen und Dr. Nicolas Gros entwickelt. Die Ärzte sehen für ihre SFD eher eine niedrigere tägliche Kalorienzufuhr von 500–600 Kalorien vor, um auf jeden Fall typische Fasten- Effekte wie die Umstellung auf die Energiegewinnung aus Ketonen und die Autophagie zu erreichen (Michalsen 2021). Die Diät ist rein pflanzlich.
 
Longevita-Diät:
1. Vegane/pescetarische Kost, Fischkonsum auf 2–3 Mahlzeiten beschränken; wenn ab 65 bis 70 Jahren Muskelmasse verloren wird, mehr Fisch, Eier, Käse (Feta, Pecorino), Ziegenjoghurt.
2. Wenig, aber ausreichend Proteine (tägl. 0,7–0,8 Gramm pro Kilogramm Körpergewicht), davon 30 Gramm mit einer einzelnen Mahlzeit, ab einem Alter von 65 Proteinaufnahme leicht erhöhen.
3. Schädliche Fette und Zucker auf ein Minimum reduzieren. Anstattdessen gesunde Fette und komplexe Kohlenhydrate. Gesunde Fette z.B. aus Lachs, Walnüssen, Mandeln, Haselnüsse. Kohlenhydraten z.B. aus Vollkornbrot und Gemüse.
4. Alle notwendigen Nährstoffe zuführen: Omega 3 und 6, Vitamine, Mineralien ...
5. Die richtigen und seit Generationen bewährten Zutaten: vielfältig und Genotyp beachten
6. Täglich 2 Mahlzeiten und einen Snack
7. Zeitspanne des Essens verringern, max. 12 Stunden
8. Regelmäßige Fastenzeiten
9. Körpergewicht und Bauchumfang unter Kontrolle halten
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