Arzneimittelwirkung bei Frauen und Männern

NATUR+PHARMAZIE 10/2004

Gibt es relevante Unterschiede?

Wenn das "starke Geschlecht" postoperativ mehr Morphin braucht, belegt das nicht Wehleidigkeit, sondern nur, dass die Arzneimittelwirkung bei Mann und Frau klinisch unterschiedlich ausfällt. Meistens sind es aber unerwünschte Substanzeffekte, die bei Frauen stärker sind als bei Männern.

Geschlechtsspezifische Unterschiede in der Pharmakokinetik beginnen schon bei der Resorption. Hormonell bedingt, entleert sich der weibliche Magen langsamer als das männliche Pendant. Der Wirkstoff verteilt sich dann bei Frauen in einem kleineren Plasmavolumen und einem größeren Anteil Fettgewebe, bei geringerer Organdurchblutung. Im Falle lipophiler Wirkstoffe wie dem Muskelrelaxans Vecuronium sorgt dies bei Frauen für schnelleres Ansprechen und eine längere neuromuskuläre Blockade als bei Männern. Eine Arbeitsgruppe wies jetzt nach, dass Frauen signifikant mehr Cytochrom P450 3A4 hepatisch exprimieren als Männer. CYP 3A4 ist eins der wichtigsten Phase-1-Metabolisierungsenzyme. CYP3A4-Substrate wie Ciclosporin, Erythromycin, Tirilazad, Verapamil, Prednisolon und Cortisol verstoffwechseln Frauen schneller als Männer. Dennoch ist die Bioverfügbarkeit von Verapamil bei Frauen unterm Strich höher; im Verbund mit niedrigerer oraler Clearance resultieren bei Frauen nach Verapamilgabe niedrigere Blutdruckwerte und eine verminderte Herzfrequenz. Pharmakodynamische Unterschiede in der Arzneimittelwirkung zwischen Frauen und Männern sind bisher weniger gut untersucht als pharmakokinetische. Man weiß, dass Neuroleptika bei Frauen in der Regel besser ansprechen, aber auch stärkere Nebenwirkungen zeigen. Gut untersucht: Opioidanalgetika. Sie wirken bei Frauen stärker, verursachen aber auch 60% mehr Opioid-induziertes Erbrechen und Übelkeit. Dies wird als Erklärung für den oft höheren postoperativen Opioid-Verbrauch von Männern herangezogen. Unklar bleibt, ob Unterschiede in der Rezeptordichte, der Rezeptoraffinität oder der Freisetzung endogener Opiode die Differenzen ausmachen. (RS)

Alle im Rahmen dieses Internet-Angebots veröffentlichten Artikel sind urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte, auch Übersetzungen und Zweitveröffentlichungen, vorbehalten. Jegliche Vervielfältigung, Verlinkung oder Weiterverbreitung in jedem Medium als Ganzes oder in Teilen bedarf der schriftlichen Zustimmung des Verlags.

x