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NATUR+PHARMAZIE 2/2020

Komplexe Wechselwirkungen: Neue Krebsmittel – Risiko für Tuberkulose?

Die Tb ist ein ungelöstes infektiologisches Problem, in erster Linie für die Dritte Welt. Ironischerweise stoßen nun eine hochentwickelte Krebstherapieform der industriellen Hemisphäre und diese uralte Seuche aufeinander und es entstehen neue, bisher noch undurchsichtige Risiken.
Gegen chronische entzündliche Krankheiten (Psoriasis, chronische Darmentzündungen (rheumatoide Arthritis) werden immer öfter monoklonale Antikörper eingesetzt, die in die Immunabwehr eingreifen. Man weiß, dass sie eine latente Tb reaktivieren können; deshalb sollte vor jeder Gabe z. B. eines TNFα-Blockers auf Spuren von Mycobacterium tuberculosis getestet werden.
Eine relativ neue Art der Immuntherapie gegen Krebs setzt an Regelstrukturen an, die Checkpoints genannt werden. Tumorzellen können sich deren eigentlich physiologische Funktion zu Nutze machen und sich mit ihrer Hilfe gegenüber Immunzellen „verstecken“. Checkpoint- Inhibitoren entlarven diese Tarnung. Eine der bekanntesten Indikationen ist das Melanom; aber auch andere Tumoren stehen im Target der Methode. Die derzeit am häufigsten genutzten Checkpoint-Antigene bzw. -Liganden heißen PD-1, PD-L1 und CTLA-4.
 
Viel Nichtwissen …
Eine Arbeitsgruppe aus Manchester, UK, und Lübeck forschte nach den Zusammenhängen zwischen Checkpoint- Inhibition und Tb-Aktivierung. Vor einer solchen Therapie wird meist nicht nach versteckten Tb-Erregern gesucht. Man weiß ja noch gar nicht, ob es ein Risiko für ihr Aufleben gibt. Die Frage ist schwer zu klären, weil es verschiedene Faktoren gibt, die eine Infektion oder eine Reaktivierung unerkannter Herde fördern können, etwa die immunsuppressiven Wirkungen der malignen Erkrankung selbst oder die einer Chemotherapie. Bei Lungenkrebs kommt dazu, dass bei Auftreten eines Pleuraergusses offen ist, ob dieser auf den Krebs oder auf eine Tb zurückgeht.
Eine Nebenwirkung einer Anti-PD1-Therapie kann eine Pneumonitis sein. Ob diese M. tuberculosis fördert, ist unbekannt.
 
… aber einige Evidenz
Dafür, dass der PD-1-PD-L1-Signalweg etwas mit der Tuberkulose zu tun hat, sprechen Versuche mit Pd1-Knockout- Mäusen. Diese erlagen einer Aerosol- Infektion mit M. tuberculosis viel schneller als unveränderte Tiere. Beim Menschen werden nach Tb-Infektion natürliche Killerzellen aktiviert, die dann vermehrt PD-1 und PD-L1 exprimieren. Dies scheint ein Schutzmechanismus gegen M. tuberculosis zu sein. Ihn zu attackieren, könnte gefährlich sein. Wie sich die Hemmung auswirkt, dürfte allerdings von einer Vielzahl von Faktoren abhängen.
Akute und reaktivierte Tb-Fälle wurden bereits bei Patienten unter Gabe von PD- 1-Checkpoint-Inhibitoren beschrieben. Bei einem ersten Fall (2016) handelte es sich um einen Patienten, dessen Hodgkin- Lymphom mit Pembrolizumab behandelt worden war. Nach fünf Zyklen stellten sich Fieber und Gewichtsverlust ein; aus Sputum wurde M. tuberculosis angezüchtet. Etwas später lief es ähnlich bei Therapie von Lungenkrebs mit Nivolumab. Solche Berichte gibt es auch z. B. von Behandlungen mit Pembrolizumab bei Melanom.
Bei den bisher beschriebenen 14 Fällen (zwölf Männer) handelte es sich teils um Neuinfektionen, teils um Reaktivierungen. Die meisten litten an metastasiertem Lungenkrebs (NSCLC). Tb-Symptome traten z. T. schon einen Monat nach Beginn der Gabe eines Checkpoint-Inhibitors auf.
Die Einstufung neuer Symptome unter Gabe von Checkpoint-Inhibitoren kann schwierig sein. Wenn man etwa eine Verdickung des Myokards registriert, könnte man, statt an Tb-Befall, an Tumor-Infiltration denken. Unter Tb-Behandlung kann es zu einer paradoxen Reaktion kommen, einer Verschlechterung der radiologischen Tb-Zeichen, ohne dass wirklich ein Rezidiv vorliegt. Weitere irritierende Komplikationen sind ein Immun-Rekonstitutionssyndrom, das bei gegen HIV behandelten Patienten vorkommt, außerdem Pneumonie und durch Checkpoint-Inhibitoren ausgelöste Pneumonitis sowie Sarkoidoseartige Reaktionen.
 
Konsequenzen ziehen!
Anhand von Klinik, Thoraxröntgen, Sputumkultur oder PCR kann man nicht zwischen Tumor-Progression, Tb-Infektion und durch die Immuntherapie ausgelöster Sarkoidose unterscheiden. Die Autoren halten es für geboten, vor Einleitung einer Therapie mit Checkpoint- Inhibitoren mit Hilfe des IGRA (IFNγ release assay) oder eines Tuberkulintests eine latente Tb-Infektion auszuschließen. Wurde eine solche während einer Immuntherapie bestätigt, muss individuell entschieden werden, ob man die Krebsmedikation fortsetzt, zeitweilig unterbricht oder auf Dauer absetzt. Gegen von Checkpoint-Inhibitoren ausgelöste Immunreaktionen wie Pneumonitis oder Kolitis setzt man eine Anti- TNFα-Medikation ein.
Quelle: Langan EA et al.: Immune checkpoint inhibitors and tuberculosis: an old disease in a new context. Lancet Oncol 2020: 21: e55-65
ICD-Codes: A16.9

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