Extreme Frühchen

Neuro-Depesche 10/2015

Wie ist die psychische Gesundheit mit 30 Jahren?

Kanadische Psychiater untersuchten in einer prospektiven Längsschnittstudie, ob Menschen, die als extreme Frühgeburten auf die Welt kamen, in der dritten Lebensdekade vermehrt unter psychiatrischen Störungen oder psychischen Problemen litten. Es handelt sich um die weltweit am längsten nachbeobachtete Kohorte extremer Frühchen.

In der populationsbasierten Kohortenstudie wurden 84 Neugeborene < 1000 g KG mit 90 Personen mit normalem Geburtsgewicht (≥ 2500 g) verglichen, die zwischen 1977 und 1982 in Ontario zur Welt gekommen waren. Anhand des Mini-International Neuropsychiatric Interview (MINI) wurden (außer Essstörungen, Psychose, Suizidalität) neun ausgewählte häufige psychiatrische Diagnosen erfasst. Außerdem wurden die Risiken für eine psychiatrische Störung in der Subgruppe von 26 Personen untersucht, die „Small for gestational age” (SGA: Gewicht < 10. Perzentile des Gestationsalters) waren, sowie in der Subgruppe von 24 Teilnehmern, deren Mütter in der Schwangerschaft einen Kortikosteroid-Puls (ACS: 2 x 12 mg Betamethason in 24 h) erhalten hatten. Zehn Personen gehörten zur SGA- und zur ACS-Gruppe.
Die Gesamtgruppe der extremen Frühchen zeigte eine geringere Wahrscheinlichkeit (Odds Ratio, OR) für Substanzabhängigkeit/-missbrauch (Alkohol oder Drogen) (OR: 0,38; 95%-KI: 0,17– 0,86), aber eine etwa zweieinhalb höhere für (aktuelle) nicht-substanzgebundene psychiatrische Störungen (OR: 2,47; 95%-KI: 1,19–5,14). Die SGA-Gruppe zeigte ein vergleichbares Erkrankungsmuster, allerdings mit jeweils höheren Effektstärken (OR: 0,11 bzw. 3,82).
ACS-exponierte Frühchen hatten noch einmal höhere Risiken für verschiedene psychische Erkrankungen (OR: 4,41; 95%-KI: 1,65–11,82). Dies betraf insbesondere eine generalisierte Angststörung (OR: 3,42), den generalisierten Typ einer sozialen Phobie (OR: 5,80) und eine ADHS vom Unaufmerksamkeits-Typ (OR: 11,45). Bei ihnen war auch das Risiko für substanzbezogene Störungen – anders als in der Gesamtgruppe – nicht signifikant, sondern nur tendenziell verringert (OR: 0,74). Zudem deutete sich dabei eine von der Steroid-Dosis abhängige Risikoerhöhung an. JL
Kommentar

In ihren frühen bis mittleren 30-igern haben ehemals extreme Frühchen und Small for gestational age-Kinder ein deutlich höheres Risiko für psychiatrische Erkrankungen. Am stärksten gefährdet waren Kinder, deren Mütter eine – in der Prä-Surfactant-Ära oft lebensrettende – antenatale Kortikosteroid- Gabe erhalten hatten; wie übrigens in anderen Studien zuvor besonders für eine ADHS. Sie stellen eine Risikopopulation dar, die im Hinblick auf psychische Krankheiten im späteren Leben im Auge behalten werden sollte.

Quelle:

Van Lieshout RJ et al.: Mental health of extremely low birth weight survivors in their 30s. Pediatrics 2015; 135(3): 452-9

ICD-Codes: P07.3 , F90. , F40.1

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