Frühgeburten

Gyn-Depesche 6/2014

Zu wenig Evidenz für späte Abnabelung?

Leitlinien empfehlen die verzögerte Nabelschnurdurchtrennung bei Frühgeborenen, um das Risiko intraventrikulärer Blutungen zu verringern. Forscher kritisieren die fehlende Evidenz hierfür.

Das American College of Obstetricians and Gynecologists (ACOG) sprach sich im Dezember 2012 dafür aus, bei Entbindungen die Durchtrennung der Nabelschnur um mindestens 30 bis 60 Sekunden zu verzögern. Den größten Vorteil sieht das ACOG bei Frühgeborenen in der Möglichkeit, die intraventrikulären Blutungen (IVH) einer fast 50%igen Reduktion zu unterziehen. Auch europäische Konsensus-Leitlinien empfehlen die verzögerte Abnabelung bei Frühgeborenen auf höchster Evidenzebene. Noch laufen aber die relevanten randomisiert-kontrollierten Studien, die eine ausreichend große Fallzahl aufweisen können. Der potenzielle Vorteil einer verzögerten Abnabelung besteht in der zusätzlichen Bluttransfusion aus der Plazenta: Sie vergrößert das neonatale Blutvolumen, verbessert die Eisenversorgung und erhöht den Transfer von Stammzellen. Bei Frühgeborenen kann das zu einem besseren Organschutz beitragen. Auf der anderen Seite könnten die Inzidenz und Schwere von Ikterus und Hypothermie steigen und möglicherweise wiederbelebende Maßnahmen verzögert werden. Für vor der 37. SSW Geborene gilt nach einem Cochrane Review mit 738 Teilnehmern als erwiesen, dass das IVH-Risiko durch die verzögerte Abnabelung um 41% sinkt. Der Unterschied bei schweren IVH (Grad III und IV) sowie bei der neurologischen Entwicklung im Alter von zwei bis drei Jahren war jedoch aufgrund der geringen Fallzahlen statistisch nicht signifikant. Für Frühgeborene vor SSW 30 liegen nur aus drei Studien mit insgesamt 96 Kindern Langzeitergebnisse vor. Diese fanden im Alter von 18 bis 24 Monaten keine Unterschiede hinsichtlich Mortalität und neurologischen Defiziten. Zweifelhaft ist nach Ansicht der Autoren auch, ob eine geringgradige IVH ohne Schädigung der weißen Substanz oder Ventrikelerweiterung überhaupt das Risiko einer Entwicklungsverzögerung erhöht. CW

Quelle:

Tarnow-Mordi WO et al.: Timing of cord clamping in very preterm infants: more evidence is needed. Am J Obstet Gynecol 2014; 211: 118-23

ICD-Codes: P07.3

Alle im Rahmen dieses Internet-Angebots veröffentlichten Artikel sind urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte, auch Übersetzungen und Zweitveröffentlichungen, vorbehalten. Jegliche Vervielfältigung, Verlinkung oder Weiterverbreitung in jedem Medium als Ganzes oder in Teilen bedarf der schriftlichen Zustimmung des Verlags.

x