Überaktive Blase

NATUR+PHARMAZIE 2/2017

Behandlungsalternativen und ihre Evidenz

Die häufigste Therapieoption bei der Reizblase sind Muskarinrezeptor-Antagonisten – trotz oftmals schlechter Akzeptanz und hoher Nebenwirkungsrate. Ein US-amerikanisches Expertenteam fasste jetzt die Behandlungsalternativen und die Evidenz für die Wirksamkeit von nicht-antimuskarinergen Therapieoptionen zusammen.

Bis zu 17% der weiblichen Bevölkerung leiden an einer überaktiven Blase. Typische Symptome sind imperativer Harndrang, Pollakisurie und Nykturie, oft kombiniert mit Dranginkontinenz. Zur medikamentösen Therapie der Reizblase werden in erster Linie Antimuskarinika eingesetzt. Sie hemmen die Wirkung von Acetylcholin an den muskarinergen Rezeptoren in der Blasenwandmuskulatur; deshalb werden sie auch als Anticholinergika bezeichnet. Aufgrund der möglichen Nebenwirkungen wie Mundtrockenheit, Verstopfung, Tachykardie und Verwirrtheitszuständen sind sie nicht unumstritten. Auch die Adhärenz der Patientinnen lässt häufig zu wünschen übrig. Ein kürzlich veröffentlichtes systematisches Review belegte zudem, dass Antimuskarinika die Zahl der täglichen Blasenentleerungen im Schnitt nur um knapp zwei reduzieren und selten die Symptome komplett zum Verschwinden bringen. Alternative Behandlungsmethoden stehen inzwischen reichlich zur Verfügung. Ihre Wirksamkeit ist jedoch oft unzureichend wissenschaftlich belegt – auch wenn sich Hinweise mehren, dass beispielsweise Botulinumtoxin A oder eine Nervenstimulation ähnlich effektiv wie Antimuskarinika sein können.
Ein US-amerikanisches Expertenteam fasste die verfügbaren Daten in einem systematischen Review zusammen. Sie screenten verschiedene medizinische Datenbanken wie Medline und Cochrane; insgesamt gingen 99 Studien, großenteils randomisiert-kontrollierte, in die Auswertung ein.
In 13 Studien wurde der Effekt einer physikalischen Therapie im Vergleich zu einer Kontrollgruppe oder zu einem anderen Verfahren untersucht. Mehrfach zeigte sich, dass die Wirksamkeit des Beckenbodentrainings durch zusätzliche Maßnahmen wie Biofeedback, Elektrostimulation oder individuelle Anleitung deutlich gesteigert wurde. Auch die Kombination mit einer feucht-heißen Auflage auf dem unteren Rücken erwies sich als erfolgreich. Im Vergleich zu Oxybutynin bewirkte das Beckenbodentraining eine gleichwertige Verringerung der Drangsymptomatik und Miktionshäufigkeit. In Bezug auf nächtliches Wasserlassen und die maximale Blasenkapazität war Oxybutynin jedoch überlegen. Die antimuskarinische Therapie war erwartungsgemäß häufiger mit Nebenwirkungen wie Mundtrockenheit, Sehstörungen und Verwirrung verbunden.
Gewichtsverlust durch Diät und sportliches Training, Anweisungen zur Reduktion des Koffeinkonsums sowie eine 25- bis 50%ige Verringerung der Flüssigkeitszufuhr stellten sich jeweils als wirksame Lebensstiländerungen heraus. Die Effektivität eines Blasentrainings in Kombination mit Beckenbodenübungen ließ sich durch eine zusätzliche perkutane tibiale Nervenstimulation noch erhöhen. Dies galt sowohl für das subjektive als auch für das objektiv messbare Outcome und war nicht mit einer höheren Zahl von Nebenwirkungen verbunden.
Ona- und Abobotulinumtoxin A reduzierten in mehreren randomisiert-kontrollierten Studien die Dranginkontinenz, die Dringlichkeit und Häufigkeit des Wasserlassens sowie die Nykturie. Urodynamische Parameter wie Miktionsvolumen, -zeit oder Restharn verbesserten sich ebenfalls, genauso wie die Lebensqualität. Ab 200 Einheiten steigt das Risiko von Nebenwirkungen wie Harnretention, erhöhtes Restharnvolumen und Bedarf für intermittierende Katheterisierungen. Im direkten Vergleich mit Antimuskarinika erwies sich Onabotulinumtoxin A als gleichwertig hinsichtlich der Verringerung der Dranginkontinenz und als überlegen hinsichtlich einer subjektiv empfundenen Heilung (starke Empfehlung 1A).
Das Betasympathomimetikum Mirabegron (in Deutschland nicht mehr vertrieben) reduzierte in zwei Studien in Dosierungen von 25 bis 100 mg die Inkontinenzsymptomatik. Bei den höheren Dosierungen stieg unter Mirabegron allerdings die Inzidenz von Infektionen der oberen Atemwege, Übelkeit, Schwindel und Rückenschmerzen. Im Vergleich zum Antimuskarinikum Tolterodin (4 mg) erwies sich Mirabegron (100 mg) als wirksamer.
Die perkutane posteriore tibiale Nervenstimulation zeigte sich als wirksames und nebenwirkungsarmes Verfahren zur Verbesserung der Drangsymptomatik, Miktionshäufigkeit, Inkontinenz und Lebensqualität. Der Effekt entsprach in etwa dem von Oxybutynin. Die sakrale Neuromodulation schnitt im Vergleich zur anticholinergen Therapie sogar besser ab. Allerdings war der implantierte Schrittmacher zur Stimulation der Sakralnerven häufiger mit veränderten Stuhlgewohnheiten, Unbehagen und Schmerzen verbunden. Die transvaginale Elektrostimulation brachte ebenfalls eine Verbesserung der subjektiven und objektiven Symptome.
Fazit der Autoren: Patientinnen mit einer Reizblase profitieren am meisten von reversiblen Methoden mit belegter Wirksamkeit, schnellem Wirkungseintritt und minimalen Nebenwirkungen. Die Evidenz spreche vor allem für Physiotherapie mit Biofeedback und Tibialisstimulation. CW
Quelle:

Olivera CK et al.: Nonantimuscarinic treatment for overactive bladder: a systematic review. Am J Obstet Gynecol 2016; 215: 34-57

ICD-Codes: N32.8

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