Orale Therapie des Typ-2-Diabetes

NATUR+PHARMAZIE 4/2015

Darf Metformin auch bei geschädigten Nieren verordnet werden?

Die Biguanide gehören zu den ältesten oralen Antidiabetika. Ein Vertreter, das Phenformin, wurde früh wegen des Laktazidose-Risikos zurückgezogen. Metformin hingegen hat eine Renaissance erlebt. Die Einschränkungen für diese Substanz basieren allerdings auf begrenzten, alten Daten. Möglicherweise könnten noch mehr Typ-2-Diabetiker davon profitieren.

Eine US-amerikanische Arbeitsgruppe erinnert daran, dass Metformin zwar über die Nieren eliminiert wird und bei Niereninsuffizienz akkumulieren kann; dann kann das Risiko einer Laktazidose steigen. Darauf beruhen die strengen Restriktionen seitens der Food and Drug Administration (FDA) für dieses Antidiabetikum: Man hat es für kontraindiziert erklärt bei „Nierenerkrankung oder Nierendysfunktion“, ausgewiesen z. B. durch ein Serum-Kreatinin ab 1,5 mg/dl bei Männern und 1,4 mg/dl bei Frauen oder durch eine pathologische Kreatinin-Clearance (CrCl). Darüber hinaus solle Metformin nicht bei Patienten im Alter von 80 Jahren oder mehr verwendet werden, außer eine normale Nierenfunktion wird mittels CrCl belegt.
Metformin wird in den USA seit 20 Jahren bei Typ-2-Diabetikern eingesetzt. Man empfiehlt die Substanz als Initialtherapie und schätzt sie wegen der niedrigen Kosten, der guten Verträglichkeit und dem Potenzial für kardiovaskuläre Protektion.
 
Laktazidosen – seltenes Ereignis
 
Die Autoren verweisen auf das Altern der Bevölkerung, die Zunahme des Typ-2-Diabetes wie auch der Menschen mit eingeschränkter Nierenfunktion (eine solche dürfte bei etwa 12% der Typ-2-Diabetiker vorliegen). Unter diesen Umständen könnten die strengen Restriktionen für den Einsatz von Metformin dazu führen, dass die Substanz vielen Patienten vorenthalten wird, deren verbliebene Nierenfunktion eigentlich noch für eine adäquate Elimination ausreicht. Epidemiologische Erhebungen kamen zu der Abschätzung, dass eine Laktazidose unter Metformin bei einem pro 23 000 bis 30 000 Personen-Jahren vorkommt, unter anderen Antidiabetika bei einem von 18 000 bis 21 000 Personen-Jahren. Auch diese unerwartete Relation spricht dafür, den Einsatz von Metformin bei leichter bis mäßiggradiger Niereninsuffizienz zu überdenken.
 
Systematisches Review
 
Die Autorengruppe unter Führung der Yale University, New Haven, befragte die internationale Literatur zu dem Thema. Von zunächst 818 geeignet erscheinenden Arbeiten blieben 65 für das Review übrig. Es handelte sich dabei um pharmakokinetische Untersuchungen, große Fall serien, retrospektive Studien, Metaanalysen und eine klinische Studie.
Die Synopsis der Daten ergibt, dass unter Metformin, obwohl es über die Nieren ausgeschieden wird, die Blutspiegel bei Patienten mit leichter bis mäßiggradiger Nierenfunktionseinschränkung (berechnete glomeruläre Filtrationsrate = eGFR 30 bis 60 ml/min/1,73 m2) zwar etwas erhöht sind, im Allgemeinen aber im therapeutischen Bereich bleiben und die Laktat-Blutkonzentrationen nicht wesentlich ansteigen. Die Gesamtinzidenz von Laktazidosen bei Metformin- Einnehmern schwankt in den verschiedenen Untersuchungen zwischen drei und zehn Fällen pro 100 000 Personen-Jahren und ist generell nicht von der Background-Rate in der Population der Diabetiker zu unterscheiden. Es liegen kaum Erkenntnisse darüber vor, dass das Risiko für eine Laktazidose bei Diabetikern mit chronischer Nierenerkrankung unter Metformin erhöht ist. Bisher wurde allerdings keine randomisiert- kontrollierte Studie durchgeführt, die die Risiken einer Metformin- Verabreichung bei signifikant eingeschränkter Nierenfunktion untersucht. Die Autoren konstatieren, dass die gegenwärtig strengen Leitlinien zum Einsatz von Metformin bei Niereninsuffizienz häufig ignoriert werden; wenn aber Metformin trotz Kontraindikationen verabreicht wird, registriert man keine Zunahme von Nebenwirkungen. Vielmehr kann man erwarten, dass die Patienten klinisch davon profitieren. Nach einer „konservativen Synthese“ der Review- Daten ist es unwahrscheinlich, dass die Metformin- Gabe bei Diabetikern mit leichter bis mäßiggradiger Niereninsuffizienz (eGFR 30 bis 60 ml/min/ 1,73 m2) das Laktazidose-Risiko messbar erhöht, solange die Nierenfunktion stabil ist und der Patient regelmäßig kontrolliert wird.
 
Leitlinien umschreiben?
 
Die verschiedenen Leitlinien und Empfehlungen sind demgegenüber z. T. wesentlich strenger. So postuliert die European Medicines Agency (EMA) eine Kontraindikation unterhalb einer Kreatinin-Clearance von 60 ml/min. Gegen die strengen US-Leitlinien wurden schon zwei Petitionen von Bürgern bei der FDA eingereicht; sie berät darüber.
Randomisiert-kontrollierte Studien, die den liberaleren Umgang mit Metformin stützen, gibt es nicht. Es wird sie auch nicht geben, da man angesichts der Seltenheit von Laktazidosen Probandenzahlen von Hunderttausenden bräuchte. Man muss sich auf die vorhandene Evidenz verlassen. Zusätzliche Sicherheit könnten nationale Patientenregister geben. WE
Quelle:

Inzucchi SE et al.: Metformin in patients with type 2 diabetes and kidney disease. A systematic review. JAMA 2014; 312: 2668-75

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