Deskriptive Analyse des Vademecums für anthroposophische Arzneimittel

NATUR+PHARMAZIE 2/2021

Erfahrungsmedizin mit Evidenz?

Das lateinische „Vade mecum“ bedeutet auf Deutsch „Gehe mit mir“. In der Anthroposophischen Medizin (AM) dient das „Vademecum“ zur Beschreibung der Erfahrungen mit der Anwendung von Arzneimitteln und äußeren Anwendungen. In der Zeitschrift Complementary Medicine Research ist eine deskriptive Analyse des Vademecums (VM) für anthroposophische Arzneimittel erschienen, ein System, das jetzt in der 4. Auflage 799 unterschiedliche AM-Arzneimittel umfasst.
Als besondere Therapierichtung ist die AM in Deutschland in das SGB V und in der Schweiz in der allgemeinen Krankenversicherung verankert. Sie geht auf Rudolf Steiner und die Ärztin Ita Wegman zurück. Das VM ist ein Dokumentationssystem und umfasst 2 große Teilbereiche: die anthroposophischen Arzneimittel und die äußeren Anwendungen.
AM-Arzneimittel werden in verschiedenen Applikationsarten angewandt: als innerliche Arzneimittel (Verreibungen, Tropfen und Tropfenmischungen, Globuli, Suppositorien), Injektionspräparate, als topische Arzneimittel (Augen- und Ohrentropfen, Vaginaltabletten, -gele etc.) sowie Externa (Gele, Salben, Öle). Wickel und Auflagen bilden die äußeren Anwendungen in der AM. Die Wirkung beruht einerseits auf den verwendeten Substanzen, aber auch auf der Funktionalität von Wärme, Feuchtigkeit, Ruhe und Bewegung.
Das VM Arzneimittel ist aktuell in Deutsch in der 4. Auflage gedruckt und in elektronischer Form erhältlich. Das Vademecum Äußere Anwendungen in der Anthroposophischen Pflege steht online im Open Access zur Verfügung. Beide werden fortlaufend aktualisiert.
Das Projekt VM AM-Arzneimittel hat als strukturierte, internationale Befragung anthroposophischer Ärzte 2006 und 2007 begonnen. Die 1. Auflage erschien 2008 als Supplement zur Zeitschrift Der Merkurstab. Die Darstellung der Indikationen und Arzneimittel erfolgt auf der Grundlage klinischer, in einem Review-Verfahren geprüfter Erfahrungen von mehr als 160 Ärzten in 15 Ländern.
Die aktuelle Auflage besteht aus 2 Teilbänden: Teilband 1 verzeichnet Indikationen von Arzneimittelgruppen mit detaillierten Informationen zu Zusammensetzung, Darreichungsform, Dosierung und zugelassenen Anwendungsgebieten. Teilband 2 widmet sich exklusiv und umfassend der anthroposophischen Misteltherapie. Dem Werk liegt laut Angaben der Gesellschaft der anthroposophischen Ärzte in Deutschland eine unabhängige, von wirtschaftlichen Interessenkonflikten freie, internationale Zusammenarbeit Anthroposophischer Ärzte zu Grunde.
Eine Originalarbeit von Hamre et al. berichtete jetzt über eine deskriptive Analyse des VM anthroposophischer Arzneimittel, als System für die Dokumentation, Bewertung und Zusammenstellung ärztlicher Anwendungserfahrungen. Es enthält laut den Autoren strukturierte Angaben zu AM-Arzneimitteln, einschließlich therapeutischer Ratio, Indikationen und Anwendungsempfehlungen. Die Angaben würden auf der Dokumentation ärztlicher Anwendungserfahrungen mittels 17-Punkte-Bögen basieren, die anschließend von einer interdisziplinären Redaktionsgruppe überprüft wurden. Sie fanden heraus, dass das VM 799 unterschiedliche AM-Arzneimittel umfasst, die für 1.773 Indikationen empfohlen werden. Diese Angaben basierten auf 2.543 Dokumentationsbögen, die von 274 Ärzten aus 19 Ländern ausgefüllt worden waren. Die 799 AM-Arzneimittel machen laut Hamre et al. 52,6 % aller AM-Arzneimittel aus, die in den Jahren 2015–2016 in Deutschland auf dem Markt waren. Die 1.773 Indikationen entsprechen 544 unterschiedlichen dreistelligen ICD-10-Codes, was 29,3 % aller 3-stelligen ICD-10-Codes ausmacht. Insgesamt 30,6 % aller Indikationen basieren auf 2 oder mehr Dokumentationsbögen. Damit decke das heutige Vademecum mehr als die Hälfte aller AM-Arzneimittel und mehr als 1/4 aller 3-stelligen ICD-10-Codes ab.
Quelle: Hamre HJ et al.: Mapping physicians‘ experiences with medicinal products from whole medical systems: A descriptive analysis of the vademecum of anthroposophic medicines. Complement Med Res. 2020; 27(5): 336–347. English. doi: 10.1159/000507541.

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