Planetary Health

NATUR+PHARMAZIE 4/2020

Transformatives Handeln stärkt die globale und individuelle Gesundheit

Im letzten Artikel der Serie soll es darum gehen, welchen Beitrag die Gesundheitsberufe und das Gesundheitssystem zu der durch Klimakrise dringend notwendigen gesellschaftlichen Transformation leisten kann – mit konkreten Ansätzen und Beispielen. Dies ist der vierte Beitrag der ganzjährigen Serie zur Planetaren Gesundheit.
Die Organisationen der Gesundheitsberufe haben weltweit erkannt: Gesunde Menschen gibt es nur auf einem gesunden Planeten. Eine der größten Initiativen in der Geschichte des modernen Gesundheitswesens fand Ende Mai 2020 statt: 350 Gesundheitsorganisationen weltweit, die 40 Millionen Beschäftigte vertreten, sowie über 4.500 einzelne Gesundheitsfachkräfte aus 90 Ländern wandten sich in einem offenen Brief an die Staatschefs der G 20-Staaten: Sie forderten, dass die massive Wirtschaftsförderung und die enormen Investitionen, die im Zusammenhang mit der Covid- 19-Pandemie getätigt werden, den Gesundheitsschutz, die Gesundheitsförderung und die planetare Gesundheit in den Mittelpunkt stellen (#healthyrecovery).
Im Rahmen des internationalen Forschungsprojekts „The Lancet Countdown on Health and Climate Change“ ist zum ersten Mal auch ein Deutschland- Bericht (Policy Brief) des Lancet Countdown vorgestellt worden (zu finden auf: www.bundesaerztekammer.de). Die Kernbotschaften sind: Die Gesundheitsrisiken werden auch in Deutschland immer schwerwiegender; der CO2-Fußabdruck des deutschen Gesundheitssektors ist beträchtlich; der Klimawandel als Gesundheitsbedrohung muss verstanden werden und in die Lehrpläne aller Gesundheitsberufe. Hier hat die Deutsche Allianz für Klimawandel und Gesundheit eine Vorreiterrolle eingenommen und im Frühjahr 2020 die Planetary Health Academy gegründet (planetary-healthacademy. de). Sehr erfolgreich, mit vielen Teilnehmenden und ausgewiesenen Experten als Referenten, wurde von Mai bis Juli 2020 eine Online-Vorlesungsreihe zum Thema Planetary Health angeboten. Wie kann jeder Angehörige des Gesundheitssystems seinen Teil zu den notwendigen Transformationen beitragen? Im Folgenden werden ganz konkrete Beispiele gegeben: Von der Umgestaltung der eigenen Apotheke zur „Klimaapotheke“ bis hin zur klimaneutralen Krankenkasse.
 
Die „Klimaapotheke“
Immer mehr Gesundheitseinrichtungen stellen ihren Betrieb auf Nachhaltigkeit und Klimaschutz um und teilen ihre Ideen mit Kolleginnen und Kollegen. Auch hier gilt: Tue Gutes und rede darüber! Die Umstellung sollte mit den Kunden, Mitarbeitern und auch in der Region (Presse usw.) kommuniziert werden. Viele Einrichtungen haben dies als Win-win-Situation erfahren: Die ökologischen Vorteile gehen mit einem Imagegewinn einher, der zum Beispiel Vorteile bei der Personalakquise bringt. Ideen und Beispiele für die Transformationsreise sind:
• Stromanbieter mit Ökostrom wählen
• Heizung der Räume optimieren (Zeitschaltuhr, Lüftungsstrategien ...)
• Müllvermeidung, wo möglich; Mülltrennung für Gelber Sack, Papier, Restmüll, Glas (auch weißes und braunes Ampullenglas); alle Entsorgungsempfehlungen beachten
• Bewusste Auswahl der Reinigungsmittel
• Umstellung auf LED-Beleuchtung
• Wege: Arbeitswege, Auslieferung mit Fahrrad, E-Bike, E-Auto, öffentlicher Nahverkehr bei Möglichkeiten zur Auswahl, den nachhaltiger arbeitenden Medikamenten-Hersteller wählen
• Papierlose Apotheke anstreben; wenn notwendig, dann nur Recyclingpapier;
• Umstellung auf recyceltes Toilettenund Handtuchpapier; Umstellung von plastiklaminierten auf Papier-Liegenabdeckungen
• Wasser sparen: an Wasserhähnen Belüfter anbringen, wassersparende Toilettenspülungen und Duschköpfe
• Papier-Werbung und Spam-Mails reduzieren
• Sinnvolle Entsorgung medizinischer Abfälle • für Apothekenkleidung bewusst Hersteller wählen: nachhaltig, ökofair usw.
• Konten und Geldanlagen überprüfen: ökofaire Bank wählen usw.
• Betriebsfeste und -ausflüge nachhaltig planen (z.B. pflanzenbasiertes Essen nach den Prinzipien der Planetary Health Diet, vgl. N+P 2/2020)
• Energieffiziente Elektrogeräte verwenden, gut pflegen und nicht im Standby-Modus lassen, wo möglich anstatt Batterien Akkus verwenden
• Bei Fortbildungen, Kongressen u.ä. auf Nachhaltigkeit achten (Anreise nicht mit Flugzeug, Nutzung von Online- Bildungsangeboten usw.)
• Sich vernetzen, informieren, engagieren, z.B. Health for Future (Koordinationsplattform auf wechange.de)
 
Klimaberatung
Vorbild für eine Klimaberatung in der Apotheke kann die Klimasprechstunde bei den Ärzten sein. Den Begriff und die Idee hat der deutsche Arzt Dr. Ralph Krolewski bekannt gemacht. Er definiert sie so: „Ein multimodales Konzept zur planetaren und individuellen Gesundheit, eingebettet in die Arzt-/Ärztin-Patient/-Patientin-Beziehung.“ Seine Grundhaltung drückt sich für ihn auf drei Ebenen aus:
Verhalten
Wahrnehmung
Kommunikation
So versucht er in vielen Bereichen mit gutem Beispiel voran zu gehen und macht alle Hausbesuche in Gummersbach in einer Region mit ca. 100 Quadratkilometern mit dem E-Bike. Der Einstieg für ihn ist die „interessierte Anamneseerhebung“. Beispielsweise muskulo-skelettale, kardivaskuläre und pulmonale Erkrankungen bieten häufig Beratungsanlässe, z.B. Umstellung des Mobilitätsverhaltens (mehr Gehen, Fahrradfahren etc.) oder des Ernährungsverhaltens (pflanzenbasiert oder -betont).
In der Kommunikation sind seine zentralen Botschaften: außerhalb der Akutmedizin sind Lebensstil und nicht-medikamentöse Maßnahmen oft am wirksamsten; Umwelt und Klima haben direkte Auwirkungen auf unsere Gesundheit; Verhaltensänderungen können gleichzeitig bessere Gesundheit erreichen und schützen unsere Lebensgrundlagen und die nachfolgender Generationen. (mehr Informationen unter: www.hausaerzte-oberberg.de)
 
Nachhaltiges Krankenhaus
Als ein Best-Practice-Beispiel können die LWL-Kliniken in Münster und Lengerich (Fachkrankenhäuser für Psychiatrie) genannt werden. Die Häuser mit über 1.000 Mitarbeitern pro Standort haben eine regelrechte Transformationsreise unternommen. Alle transformativen Maßnahmen aufzuzählen, würde hier den Rahmen sprengen, aber einige seien genannt:
das KH hat sich umfangreich zertifizieren lassen, u.a. von EMAS; dies gilt als das weltweit anspruchsvollste Umweltmanagementsystem
• Eigenstromerzeugung: 60 % der elektrischen Grundlast wird über eine Solarstromanlage gedeckt
• die Gärtnerei arbeitet für therapeutische Zwecke und baut auch Tomaten und Kräuter für die Krankenhausküche an; sie arbeitet mit Regenwasser
• zunehmend Elektroautos im Fuhrpark
• 250 Diensträder
• ein Lasten E-Bike: Waschmaschinen etc. können damit transportiert werden
• Deckung von Gebäuden mit dem Klima- Life-Ziegel
• Energiebeauftragte sind als Verschwendungsjäger unterwegs (Lüftung, Licht etc.)
• Leitungs- statt Mineralwasser (das aufwendig transportiert werden muss) bei allen Konferenzen; auf den Stationen Wasserspender
• „Jubiläumsbäume“: für Mitarbeiter- Jubilare, 25 oder 40 Jahre, werden einheimische Bäume im Park gepflanzt; dies wird als hohe Wertschätzung von den Mitarbeitern empfunden
• Flächenrenaturierung: für Insekten, Wildblumen ...
• Krankenhausverpflegung: über 22 Prozent Bioprodukte; jeden Tag ein gutes vegetarisches Gericht; Kooperation mit regionalen Lieferanten (v.a. Milch, Eier, Fleisch)
• systematische Vermeidung von Lebensmittelverschwendung (die jährliche Ersparnis von mehreren zehntausend Euro bleibt in der Küche, um hochwertigere Lebensmittel einkaufen zu können)
• zertifizierter Bio-Apfelsaft von eigenen Streuobstwiesen; „Saft-Events“, zu denen auch die Öffentlichkeit eingeladen wird
 
Der kaufmännische Direkter Thomas Voß, der an dieser Reise maßgeblichen Anteil hatte, berichtet über viele Winwin- Effekte: die Häuser bekommen positive Tages- und Fachpresse und Fernsehberichte; hohe Mitarbeiter- und Patientenzufriedenheit; Erleichterung und Vorteile bei der Personalakquise.
 
Klimaneutrale Krankenkasse
Im Bereich der Krankenkassen soll die BKK Provita genannt werden. Sie ist die erste klimaneutrale Krankenkasse. Sie positioniert sich eindeutig pro pflanzenbetonte Ernährung und bietet ihren Mitgliedern Unterstützung bei der Ernährungsumstellung. Anfang 2020 hat die Kasse einen Ernährungswegweiser für Krankenhäuser und Gesundheitseinrichtungen veröffentlicht. Mit der Aktion Pflanzen-Power fördert die BKK ProVita pflanzenbasierte Ernährung in Schulen; dies Engagement wurde mit dem UN-Award Momentum for Change 2018 in der Kategorie Planetary Health ausgezeichnet. 2021 ist die BKK ProVita für den Deutschen Nachhaltigkeitspreis nominiert.
Die Kasse ermittelt jährlich ihren CO2- Fußabdruck. Neben der Ableitung von Maßnahmen zur Reduzierung kompensieren sie seit 2016 den daraus resultierenden CO2-Ausstoß durch die Unterstützung von Klimaschutzprojekten in Entwicklungsländern nach dem sogenannten „Gold Standard“, einem strengen und weltweit angesehenen Qualitätsstandard.
 
Informationen
The Lancet Countdown on Health and Climate Change. Policy Brief für Deutschland. November 2019. Download auf: bundesaerztekammer.de
Weltorganisation der Haus- und Familienärzt* innen (WONCA). An die Haus- und Familienärzt*innen der Welt: Aufruf zum Handeln für die ‘‘PLANETARE GESUNDHEIT‘‘ - Deutsche Version. 2019. Download auf: hausaerzte-oberberg.de Offener Brief mit Forderungen zu einem nachhaltigen Programm an die Regierungs- Chefs der G20-Staaten von 350 Gesundheitsorganisationen mit 40 Millionen Ärztinnen und Ärzten , Krankenpflegerinnen Krankenpflegern und Angehörigen von Gesundheitsberufen. Download auf: healthyrecovery.net
 

Planetary-Health

Serie Teil 1: Planetary Health – die Herausforderung der Ganzheitllichkeit. Natur + Pharmazie 1/2020

Teil 2: Planetary Health Diet. Natur + Pharmazie 2/2020

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